
Es war einmal ein kleiner Junge namens Lumi, der in einem Dorf am Rand eines großen, stillen Waldes lebte. Lumi liebte es, die Welt um sich herum zu beobachten. Er schaute den Vögeln beim Fliegen zu, hörte dem Fluss beim Plätschern zu und fühlte die weiche Erde unter seinen Füßen. Aber am meisten liebte er seinen alten Spiegel, der schon seit vielen Jahren in seiner Familie war. Der Spiegel hing in der Küche und war groß genug, dass Lumi sich von Kopf bis Fuß darin sehen konnte.
Eine unerwartete Begegnung
Eines Morgens, als Lumi in die Küche ging, sah er sich im Spiegel und fragte sich: „Wer bin ich wirklich? Bin ich nur das, was ich im Spiegel sehe?“ Er legte seine Hand an die kalte Glasfläche und schaute noch tiefer hinein. Da hörte er plötzlich eine leise, sanfte Stimme: „Was du siehst, ist nicht alles, was du bist.“
Lumi sprang überrascht zurück. „Wer spricht da?“ fragte er. Die Stimme antwortete: „Ich bin der Spiegel. Seit du klein bist, schaust du in mich hinein. Aber ich zeige dir nur das, was du sehen willst. Es gibt viel mehr.“
Die Entdeckung der Welt im Spiegel
Neugierig fragte Lumi: „Was gibt es noch zu sehen?“
„Schau genau hin,“ sagte der Spiegel, „und lass deine Gedanken zur Ruhe kommen.“
Lumi setzte sich still vor den Spiegel und atmete tief ein und aus. Er ließ seine Gedanken los – über die Schule, seine Freunde und sogar das Abendessen. Nach einer Weile sah er etwas Neues im Spiegel. Er sah nicht mehr nur sich selbst, sondern auch den Himmel, die Bäume und das Licht der Sonne, das durch das Küchenfenster strömte.
„Das bin nicht nur ich“, dachte Lumi. „Es ist die ganze Welt, die sich im Spiegel zeigt.“
Die Weisheit des Spiegels
Der Spiegel lächelte – oder zumindest dachte Lumi, dass er ein Lächeln sah – und sagte: „Jetzt siehst du, dass du nicht getrennt von der Welt bist. So wie der Spiegel alles wiedergibt, was vor ihm ist, so ist dein Geist, Lumi. Er ist klar und leer, bereit, alles zu sehen, was auftaucht. Wenn du ruhig bleibst und nicht an deinen Gedanken festhältst, wirst du erkennen, dass alles, was erscheint, nur vorübergehende Bilder im Spiegel sind.“
Die Klarheit des Geistes
„Bin ich dann leer wie der Spiegel?“ fragte Lumi.
„Ja,“ antwortete der Spiegel sanft, „leer und klar. Aber leer bedeutet nicht, dass nichts da ist. Es bedeutet, dass dein Geist so offen ist wie der weite Himmel. Gedanken, Gefühle und Bilder kommen und gehen wie Wolken. Aber du bleibst immer klar.“
Lumi saß noch eine Weile da und ließ diese Worte in sich wirken. Er dachte an den Himmel, der sich nie über die vorbeiziehenden Wolken aufregte. Egal, wie viele Wolken da waren – der Himmel war immer da, weit und ruhig.
Die Bedeutung der Ruhe
„Also,“ flüsterte Lumi, „egal, was ich denke oder fühle, mein Geist bleibt immer klar, wie der Spiegel oder der Himmel?“
„Ganz genau“, sagte der Spiegel. „Und wenn du das verstehst, wirst du immer einen Ort der Ruhe in dir finden, egal was passiert.“
Lumis neue Sichtweise
Von diesem Tag an sah Lumi den Spiegel mit anderen Augen. Er wusste, dass er nicht nur sein eigenes Spiegelbild darin sehen konnte, sondern auch die Weite und Klarheit seines eigenen Geistes – leer von Festhalten, aber voll von unendlichen Möglichkeiten.